Letztes Licht über dem Reisfeld
Die Sonne stand tief über dem Feld, als hätte sie keine Lust mehr, diesen Tag weiter auszuleuchten. Ein rotgoldener Schleier lag über den Halmen, ließ das Wasser zwischen ihnen glitzern wie geschmolzenes Erz. Die Luft war schwer, klebrig, voller stehender Wärme, die alles träge machte – selbst die Insekten klangen müde.
Und Rothwig stand dort, ganz allein, die Stiefel bis zu den Knöcheln im Matsch. Er bewegte sich kaum. Nur sein Atem hob sich langsam, kontrolliert.
Kein anderer Schürfer war heute draußen. Kein Bandit. Nur er. Das Feld. Die Hitze. Und sein Korb.
Der Korb war neu gewesen, als er ihn gekauft hatte. Kein Ramschstück vom Basar, kein geflicktes Ding aus den Händen eines besoffenen Händlers – sondern ein gutes, stabiles Stück, von einem Händler aus Khorinis. Gutes Werk, feste Nähte, stabile Riemen. Rothwig hatte nicht gefeilscht. Wer zahlt, bekommt was er braucht. Der Korb war immer bei ihm. Heute war er voll.
Er trat einen Schritt aus dem Wasser, suchte sich einen festen Platz am Rand des Feldes. Die untergehende Sonne glitzerte auf seinem Schweiß, aber er wischte ihn nicht weg.
Er löste langsam den Korb von den Schultern, stellte ihn neben sich. Griff hinein.
Die erste Flasche: Reisschnaps von Latil.
Fein gebrannter Stoff. Keine Alchemistenplörre, kein Schnaps aus zweiter Hand – Rothwig hatte ihn selbst gekauft. Direkt in der Seekneipe, gegen eine ordentliche Hand voll Erz. Kein Tausch, keine Worte, nur ein Blick, ein Griff, ein Nicken. Bezahlt. Fertig.
Er zog den Korken. Der scharfe Geruch biss ihm sofort in die Nase. Er lachte nicht, er grinste nicht. Er trank.
Der erste Schluck brannte ihm die Kehle trocken. Der zweite ließ seine Schultern sinken. Der dritte befreite ihn – ganz leise – von der Welt da draußen.
Er stellte die Flasche zur Seite. Und griff nach der nächsten.
Krautschnaps.
Dunkler Ton, ein schlichter Korken, keine Marke, keine Verzierungen. Rothwig hatte zwei Flaschen gekauft, gleich beim ersten Mal. Kein Wort über den Preis. Wenn es passt – passt es.
Der Geschmack war erdig, fast herb. Aber ehrlich. Kein Zucker. Kein Gesülze. Nur Bitternis und Rauch. Rothwig nahm sich Zeit. Trank langsam. Jeder Schluck ein Schritt weiter weg vom Lärm.
Dann griff er tiefer in den Korb, zog ein kleines, altes Stoffstück heraus, in das etwas gerollt war. Vorsichtig entrollte er es.
Der Stängel.
Sumpfkraut. Trocken, bröselig, aber noch gut. Ein Tauschstück von vor Monaten – ein Novize hatte ihn ihm in die Hand gedrückt, ohne viel zu reden.Kein Dank. Kein Versprechen.
Er nahm ihn in die Hand, ging zur Fackel – dann ein leichtes Glimmen. Der erste Zug war hart, trocken, kaum Aroma. Der zweite... leichter. Und dann begann sich etwas zu verändern. Nicht plötzlich. Aber sanft.
Die Sonne senkte sich langsam in den Horizont, als wollte sie nicht mehr zusehen. Der Reis schwankte im Wind, als hätte er angefangen zu atmen. Rothwig blinzelte. Die Welt war noch da – aber sie war leiser.
Er griff zur letzten Flasche.
Wacholder.
Ein dünnes Glas, sauber, klar. Der Alkohol hell, fast durchsichtig. Auch den hatte er gekauft – von einem Händler mit vielen Flaschen und noch mehr Geschichten. Rothwig hatte keine Geschichte verlangt. Nur das Getränk. Kein Wort gewechselt. Nur gezahlt. Dann gegangen.
Er trank. Der Wacholder war süß, fast kühl. Ein freundlicher Abgang für diesen Abend. Der letzte Schlüssel. Die letzte Kante.
Er saß noch eine Weile dort. Die Flaschen bei seinen Füßen. Der Stängel glimmte fast ganz runter. Der Himmel war inzwischen violett, dann schwarz.
Er stand langsam auf. Die Beine zitterten leicht, aber trugen ihn. Der Korb kam zurück auf den Rücken. Die Schritte waren unsicher, aber zielsicher. Er kannte den Weg. Und er war nicht so weit.
Seine Hütte war dunkel, aber kühl. Der Boden staubig, die Luft modrig. Er trat ein. Die Suppe stand noch auf dem Bett – Fleischsuppe. Er nahm die Schüssel in beide Hände.
Dann verlor sich alles.
Der Kopf kippte langsam nach vorn. Die Stirn berührte den Rand. Die Suppe wankte, schwappte, tropfte. Seine Arme rutschten nach vorn, der Rücken wurde weich, der Körper schwer. Der Korb kippte seitlich, die Flaschen rollten auf den Boden. Die Wacholderflasche klirrte leise.
Und Rothwig fiel.
Ins Bett.
Ins Dunkel.
Nicht betrunken. Nicht besiegt.
Nur fertig.
Fertig mit dem Tag, mit der Hitze, mit allem.
Er hatte gekauft, was er brauchte.
Getrunken, was er wollte.
Und geschlafen, wie er es verdiente.
Ganz allein.
Ganz ruhig.
Ohne einen einzigen Zeugen.